Die Ruhe vor dem Sturm

 

 

Ich sitze gerade in Wellington in Mayas Wohnung und schaue aus dem Wohnzimmerfenster, welches den Blick auf wogende grüne Bäume und Farne freigibt, durch die Tuis und andere einheimische Vögel tanzen und aus deren Mitte hier und da, pilzartig, ein kleines helles Haus sprießt. Entschleunigung ist angesagt, wie schon die zurückliegenden Wochen. Aber es ist nur die Stille vor dem Sturm.

 

 

 

Angefangen hat es in Cromwell, einem kleinen Ort zwischen Queenstown und Wanaka, in dem es eigentlich nicht wirklich etwas erwähnenswertes gibt. Perfekt zum Entschleunigen nach meinem letzten Südinsel-Marathon! Und als würde das Wetter mit mir und meinen Plänen unter einer Decke stecken, hat es auch noch die ganze Zeit geregnet, gestürmt sogar! Zyklon Gita fiel über neuseelands Küsten her und legte den Verkehr und das öffentliche Leben lahm. So hatte ich mir das vorgestellt. Entschleunigung ohne andere Alternativen. Ich saß in meiner Unterkunft und erledigte Papierkram, plante, schrieb und las mein Buch weiter.

 

 

 

Lange gönnte ich mir allerdings diese Art von Ruhe nicht. Im nahe gelegenen Wanaka ging es schon wieder geschäftiger zu. Ich beendete fürs erste alle ausstehenden Erledigungen und zog wieder einmal die Wanderschuhe an. Die Wanderung zur Roys Peak stellte sich als eine besondere Schinderei heraus, bei der man allerdings mit absolut atemberaubenden Ausblicken und ein bisschen Schnee im Sommer belohnt wurde. Auf dem Rückweg war ich so ausgepowert und aufgeheizt, dass ich tatsächlich mein dauerhaft frierendes Ich für eine Weile vergaß und kurzerhand in den See sprang. Ein unglaubliches Gefühl!

 

 

on Wanaka aus habe ich die lange Busfahrt durch den Fjordland National Park hin zu Franz Josef auf mich genommen, um zu sehen, ob sich Neuseelands Gletscher von den Schweizer Gletschern unterscheiden. Tun sie nicht, aber der Regenwald drum herum ist unglaublich! Man geht unter den Bäumen lang, von denen Moos-Stränge wie Langhaarperrücken hängen und kann das Alter dieses Waldes praktisch riechen. Trotzdem war mit Ausflügen hier Vorsicht geboten. In dem spärlich besiedelten Gebiet möchte man keine Unfälle haben, da sich Rettungsaktionen jeglicher Art als sehr schwierig erweisen können. Wenn man denn überhaupt Telefonempfang hat, um Hilfe zu holen. Die Menschen, die hier dauerhaft leben, haben sich damit abgefunden, Teile des Jahres vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein und sich dafür gerüstet, sich selbst versorgen zu können.

 

 

Das kleine Küstenstädtchen Hokitika war wieder etwas näher an dem, was man als gebürtiger Europäer als Zivilisation bezeichnet. In Neuseeeland ist Zivilisation wahrscheinlich da, wo ein Supermarkt ist. Hokitika hat zwei. Es ist für seine vielen Jadegeschäfte bekannt. Jade / Greenstone / Ponamu ist in Neuseelands Flüssen und Gebirgen zu finden und ein heiliger Stein für die Maoris, die daraus Waffen, Werkzeuge und Schmuck herstellen. Auch ich bin dem Zauber des grünen Steins erlegen und habe mir ein paar Kleinigkeiten gekauft. Insgesamt fühlte sich mein Aufenthalt in dieser kleinen Stadt trotzdem etwas zu lang an, da es immer noch viel regnete und allgemein auch nicht so viel zu tun war. So konnte sich Entschleunigung also auch anfühlen. Es war eine Art Langeweile, in der man noch nicht klein bei gab und einfach mal einen Tag zuhause blieb und nichts tat, sondern bekannte Strecken immer wieder ablief, in der Hoffung, noch etwas Neues zu entdecken. Der Zwang, jeden Tag etwas zu tun und etwas anzusehen, aktiv zu sein, die Zeit an diesem Ort zu nutzen, da man vielleicht / wahrscheinlich nie wieder hier her zurückkommen würde. Dieser Wechsel war nicht einfach hinzubekommen.

 

 

Besser gelang es mir dann in Nelson, wo ich auch vergleichsweise lange zubrachte. Fast anderthalb Wochen verweilte ich in diesem kleinen Städtchen und diesmal gelang es mir schon besser, mal einen Gang zurückzufahren. Vielleicht war es auch das Wetter, welches hier um einiges besser war. So gut wie jeden Tag schien die Sonne und lud an den Strand oder in den Park ein. In den Geschäften konnte man alles erdenkliche erwerben und ich habe sogar einen echten Schuster gefunden, der mir meine Wanderschuhe neu besohlt hat! Unzählige Kunstgalerien lockten und ein ganz besonderes Schmäckerchen befand sich nur 200m von meiner Unterkunft entfernt: Der Goldschmied, der den einen Ring für die Filme von Herr der Ringe geschmiedet hatte. Sehnsüchtig konnte ich mir Tag für Tag an seiner Scheibe mit den Ausstellungsstücken die Nase platt drücken.

 

So verging die Zeit fast schon wie im Flug und schon war es mal wieder soweit, den Rucksackinhalt in meinem großen Lagersack zu verstauen und die Wanderschuhe anzuziehen.

 

 

Als letzte große Mehrtageswanderung wollte ich den Abel Tasman Coast Track machen. Das bedeutete: 4 Tage wandern im Paradies! Immer an der Küste im Norden der Südinsel lang, ein Gebiet mit langen Sandstränden und türkisblauem Wasser. Ich habe geschwitzt, geflucht und es absolut genossen! Ich habe viele Tiere gesehen, bin durch Regenwald, Wasser und Sand gelaufen und habe in den bereitgestellten Hütten geschlafen.

 

 

Nach einer weiteren Nacht in Nelson und großem Umgepacke (und einer wundervollen Dusche!!!) habe ich einen Flieger Richtung Wellington genommen und gedenke nun die restlichen Tage bis zur Ankunft der Eltern und unserer Neuseelandtour hier zu verbringen. Ich bin total entschleunigt und sehe mit froher Erwartung dem nächsten Sturm entgegen.

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Jan (Dienstag, 20 März 2018 07:55)

    Das sind schon wirklich schöne Bilder von tollen Landschaften. Davon haben wir hier gerade nicht so viel. Vor allem vom Grün.

    ICH WILL JETZT URLAUB.

  • #2

    Dana (Dienstag, 20 März 2018 20:21)

    Hihi, du HAST Urlaub. Bzw. frei...du musst nur noch wegfahren. ;)

  • #3

    Feluex (Montag, 23 April 2018 12:03)

    Haaaach... sieht das schön aus! *__*
    Da hast du ja echt wieder mal etwas erlebt und bist mittlerweile echt Kamera-Pro! Das Foto vom Sternenhimmel ist echt super schön <3

  • #4

    Maria (Freitag, 11 Mai 2018 17:25)

    Deine Fotos sehen wirklich atemberaubend aus! Kein Wunder, dass es da mit der Entschleunigung so gut geklappt hat. Du musst uns unbedingt bei Gelegenheit (innerhalb der nächsten drei Monate �) erzählen, wie das mit den Great Walks und den Hütten funktioniert. Das klingt so toll, das muss auch auf unser Programm...